Lobbyismus und parlamentarische Demokratie. Praktiken und Diskurse im 19. und 20. Jahrhundert

Lobbyismus und parlamentarische Demokratie. Praktiken und Diskurse im 19. und 20. Jahrhundert. Theodor Heuss-Kolloquium 2023

Organisatoren
Thorsten Holzhauser, Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus (thh); Andreas Schulz, Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien e.V. (KgParl) (Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus (thh); Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien e.V. (KgParl))
Ausrichter
Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus (thh); Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien e.V. (KgParl)
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
12.10.2023 - 13.10.2023
Von
Paul Treffenfeldt, Historische Europaforschung, Humboldt-Universität zu Berlin

Die Frage nach der Funktion und der Rolle von Lobbyismus in der parlamentarischen Demokratie ist so alt wie der Parlamentarismus selbst und ist seitdem Gegenstand politischer Auseinandersetzungen und Kontroversen. Während die Einflussnahme von Interessensverbänden auf staatliche Exekutivorgane vergleichsweise gut erforscht ist, gibt es wenig geschichtswissenschaftliche Forschung zur Beziehung zwischen Lobbyist:innen und Parlamentarier:innen. Diesen Beziehungen wurde sich daher im Rahmen des Theodor Heuss-Kolloquiums durch verschiedene Beiträge mit verschiedenen theoretischen, methodischen und inhaltlichen Zugängen angenähert.

Die Tagung wurde von THOMAS HERTFELDER (Stuttgart) und ANDREAS SCHULZ (Berlin) eröffnet. Beide betonten das spezielle Spannungsfeld zwischen Lobbyismus und parlamentarischer Demokratie, das für die Erforschung beider Phänomene und ihr Verhältnis zentral sei. Thomas Hertfelder wies auf die spezielle Aktualität der Thematik hin. Er argumentierte, es sei ein Schatten über das systemimmanente Phänomen des Lobbyismus geraten, besonders vor dem Hintergrund aktueller Skandalisierung. Andreas Schulz warf Fragen auf, die wiederkehrend Gegenstand der Debatten waren – wie sich im Verlauf der Tagung zeigen sollte. So stellte er etwa die Frage nach einer geeigneten Definition von Lobbyismus. Es müsse entschieden werden, ob sich ein offenes Begriffsverständnis eignet, um das Verhältnis zwischen Lobbyismus und parlamentarischer Demokratie adäquat zu beschreiben, oder ob nicht doch eine enge Definition im Sinne eines professionellen (Wirtschafts-)Lobbyismus geeigneter ist. Er attestierte in diesem Kontext für die Geschichtswissenschaften in Abgrenzung zu den Sozialwissenschaften ein Definitionsdefizit. So gebe es keine systematische Abhandlung zur Thematik, allerdings eine Fülle von Fallstudien. Daraus ergebe sich eine Definitionslosigkeit, die allerdings durchaus produktiv für kommende Forschung genutzt werden könne. Weiterhin wichtig war der Einwand, dass die Deutung von Lobbyismus im öffentlichen Diskurs stets zeitgebunden ist und das Ergebnis diskursiver Verhandlung.

Den ersten inhaltlichen Beitrag in Form einer Keynote steuerte PAUL SEAWARD (London) bei. Er präsentierte Einsichten zur Entwicklung des Lobbyismus im britischen House of Commons von der frühen Neuzeit bis in die Gegenwart und deutete auf wichtige Unterschiede zwischen formellem und informellem Lobbyismus hin, ebenso verwies er auf die Unterscheidung zwischen legitimem und illegitimem Lobbyismus. Was legitim und illegitim war, sei stets von öffentlicher Rezeption abhängig gewesen. Seaward zeigte auf, dass eine Lobbyingindustrie etwa im 18. Jahrhundert entstand, die sich dann sukzessive wandelte. Regulierungsversuche habe es erst nach dem zweiten Weltkrieg gegeben. Weiterhin warf Seaward die zentrale Frage auf, in welchem Verhältnis Lobbyismus zu Korruption zu interpretieren ist, und verwies auch hier auf die zeitgebundenen Urteile der Mitlebenden.

Die erste Sektion eröffnete TOBIAS KAISER (Berlin) mit einem Vortrag zum ‚Problem des Lobbyismus‘ im Reichstag zur Zeit der Weimarer Republik. Er betonte, dass Lobbyismus ein weitverbreitetes Phänomen sowohl in der Kaiserzeit als auch in der frühen Weimarer Republik war und zeigte auf, dass Lobbyismus im Weimarer Reichstag vornehmlich als Problem angesehen wurde. Dies zeigte sich auch daran, dass die Parlamentarier:innen versuchten Lobbyismus durch Gesetze einzudämmen. Er schlug vor, das Verhältnis zum Lobbyismus einer jeweiligen Gesellschaft als Indiz für das zeitgenössische Demokratieverständnis zu analysieren und so neue Einsichten zu erlangen – So präge das Demokratieverständnis der Gesellschaft auch den Umgang der Parlamente mit Lobbyismus – eine These, die in der Folge in einigen Beiträgen bestätigt wurde.

Anschließend lieferten BARBARA VON HINDENBURG (Berlin) und BENEDIKT WINTGENS (Berlin) Einsichten zu Lobbyismus in der Bonner Republik. Sie betonten, dass Lobbyismus in Form von direkter Interessenvertretung integraler Teil der Bonner Republik, aber durchaus negativ konnotiert war. Benedikt Wintgens attestierte für die Nachkriegszeit eine starke Verflechtung zwischen Verbands- und Parteiensystem, die zu Beginn insbesondere in der CDU/CSU stark ausgeprägt war. So habe es zwischen dem Verbands- und Parteiwesen fließende Übergänge gegeben. Barbara von Hindenburg betonte die speziellen strukturellen Effekte eines sich entwickelnden Lobbyismus in der Bundesrepublik. Sie zeigte auf, dass die Etablierung des politischen Bonn auch zur Ansiedlung der Lobbyverbände in dieser Region führte. Es seien spezielle Orte der Begegnung in der Stadt entstanden, die den Austausch zwischen Abgeordneten und Lobbyverbänden ermöglichten und verstärkten. Die Vortragenden vertraten die These, dass der stark ausgeprägte Korporatismus in der frühen Bundesrepublik gebildet zu einem gewissen Verwischen der Grenze zwischen Verbandsmitgliedern und Parlamentarier:innen beitrug.

INES SOLDWISCH (Düsseldorf) lieferte interessante Einsichten in den Lobbyismus rund um das europäische Parlament. Lobbyismus sei hier schon früh integraler Bestandteil des Parlamentsbetriebs gewesen. Aus Sicht der Abgeordneten erfordere die hohe Komplexität des parlamentarischen Betriebes auf europäischer Ebene eine professionelle Beratung, diese sei wiederum stets Gegenstand von Regulierungsversuchen gewesen. In der Wahrnehmung der Akteure im parlamentarischen Betrieb sei diese Form des Lobbyismus notwendig und legitim, was auch ein Grund für die recht weichen Vorgaben für Interessenvertretung auf europäischer Ebene sei. Die Probleme mit Lobbyismus auf europäischer Ebene seien in persönlichen Verfehlungen der Parlamentarier:innen begründet. Im Nachgang dieser Verfehlungen folge eine Skandalisierung, die wiederum in neuen Regulierungsversuchen münde. Eine grundsätzliche Kritik am Lobbyismus sei eher die Ausnahme. Im Anschluss an den Beitrag entwickelte sich eine kontroverse Diskussion über die begrifflichen Fallstricke bei der Beschreibung von Lobbyismus und die normativen Fragestellungen, die sich aus der Betrachtung des europäischen Falls ergaben, etwa die Frage nach strukturellen Problematiken durch Lobbyismus jenseits persönlicher Verfehlungen, oder die Abgrenzung zwischen Lobbyismus und professioneller Beratung.

Die zweite Sektion eröffnete Andreas Schulz mit einem Beitrag zum Verhältnis von Wirtschaftslobbyismus und Kolonialpolitik im Kaiserreich. Am Beispiel der Interessensvertretung großer Reedereien für die Subvention von Schifffahrtslinien in die Kolonialgebiete des Kaiserreichs formulierte Schulz einige Thesen. Wirtschaftslobbyismus könne als ein Baustein vernetzter Unternehmenskommunikation gesehen werden, die durch Werbung und Medienkampagnen unterstützt wird. Im Kaiserreich seien persönliche Beziehungen und Netzwerke von großer Bedeutung gewesen und wie Diskretion, Reputation und Vertrauen entscheidend für Erfolg oder Misserfolg von Einflussnahme. Abschließend wies Schulz auf das für ihn zentrale, historisch variable Verhältnis zwischen privatem Nutzen und öffentlichen Interesse hin, das bei der historischen Erforschung von Lobbyismus mitreflektiert werden müsse.

Im folgenden Vortrag charakterisierte BARBARA WOLBRING (Frankfurt am Main) am Beispiel der Firma Krupp die Positionierung von Unternehmen im öffentlichen Raum zur Zeit des Kaiserreichs, insbesondere im Kontext der Flottenpropaganda. Sie stellte heraus, dass Krupp als Privatunternehmer zwar durchaus gut mit der Aristokratie vernetzt war, aber kaum Kontakte pflegte mit den einflussreicher werdenden parlamentarischen Eliten. Somit versäumte er Lobbyismus ‚neuen Stils‘ zu betreiben. In der folgenden Debatte wurden wichtige Frage etwa zum Verhältnis zwischen Lobbyismus und dem politischen System, in dem er operiert, aufgeworfen. So könne das Aufkommen eines modernen Lobbyismus als Indikator für die Modernität und Parlamentarisierung des Kaiserreichs gesehen werden. Eine These, die in der Folge kontrovers diskutiert wurde.

In der dritten Sektion präsentierte THORSTEN HOLZHAUSER (Stuttgart) eine Fallstudie zu Lobbyismus durch Parlamentarier:innen am Beispiel des Abgeordneten Theodor Heuss in der Zwischenkriegszeit. Holzhauser zeigte auf, dass Heuss zwar auf der einen Seite durchaus als Kritiker der Vertretung von Partikularinteressen auftrat – insbesondere kritisierte er die organisierte Interessenvertretung etwa durch Wirtschaftsverbände. Auf der anderen Seite betätigte er sich selbst als Interessenvertreter im Parlament, um Partikularinteressen durchzusetzen. So brachte er etwa Positionen des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller und des Bunds der Auslandsdeutschen ein, deren Vorsitzender bzw. stellvertretender Vorsitzender er zeitweise war. Somit hatte Theodor Heuss wie viele Abgeordnete des Weimarer Reichstags eine Doppelrolle als Interessenvertreter und Parlamentarier inne, die aber zu Rollenkonflikten führte. Zentral blieb für Heuss die Berufung auf das Allgemeinwohl, um seine Interessenpolitik zu legitimieren und deren Grenzen zu beschreiben. Dies zeigt eindringlich die Zentralität des zeitgenössischen Verständnisses von Interessenpolitik für das Verhältnis von Parlamentarismus und Lobbyismus.

Eine zweite Fallstudie präsentierte JOHANN KIRCHINGER (Stuttgart/Regensburg) über die Einflussnahme und die Verflechtung von Bauernverbänden mit den Abgeordneten des bayerischen Landtags. Kirchinger näherte sich dem Thema vornehmlich quantitativ, indem er Doppelmitgliedschaften in Verbänden und Landtag nachzeichnete. Er zeigte, dass die Schnittmengen zwischen Verbänden und Parlament teilweise durchaus erheblich, aber in jüngerer Zeit rückläufig waren. Daraus leitete Kirchinger einen Rückgang des parlamentarischen Einflusses der Agrarverbände ab, die ihre Aktivitäten auf administrative Entscheidungen konzentrierten - ein Schluss, der kontrovers diskutiert wurde.

Der erste Tagungstag endete mit einer Podiumsdiskussion zum Thema, die von DOMINIK GEPPERT (Potsdam) moderiert wurde. Die Teilnehmenden KATHARINA BARLEY (Brüssel), IMKE DIERẞEN (Berlin), JENS IVO ENGELS (Darmstadt) und KLEMENS JOOS (München) lieferten interessante Einsichten zum einen in moderne Praxen des Lobbyierens, zum anderen zu moderner Kritik am Lobbyismus. Besonders interessant war der kritische Einwand von Jens Ivo Engels, dass für Praktiker:innen Transparenz häufig als Lösung für ein originär politisches Problem gesehen werde, was zu kritisieren sei.

Den zweiten Sitzungstag eröffnete JAN RUHKOPF (Stuttgart) mit einem Beitrag zum Lobbyismus im und aus dem Bundesvertriebenenministerium der frühen Bundesrepublik. Er zeigte die tiefen Verflechtungen zwischen Ministerialbürokratie und Verbänden auf und betonte die wechselseitigen Beziehungen zwischen beiden. Ruhkopf vertrat die These, dass strategische Allianzen zwischen Interessengruppen und Ministerialbürokratie nach 1949 den demokratischen Willensbildungsprozess bestätigen und legitimieren konnten. Mit Bezug auf Versuche des Vertriebenenministeriums, die Flüchtlingsgesetzgebung des amerikanischen Kongresses zu beeinflussen, sprach er von „Regierungslobbyismus“. Dieser bilde eine nicht-offizielle Praxis neben den offiziellen diplomatischen Kanälen und sei somit zumindest teilweise eine Alternative zu diesen Kanälen gewesen.

MICHAEL NEUMANN (MÜNSTER) beleuchtete den Lobbyismus religiöser Organisationen in der Bundesrepublik. Am Beispiel des katholischen Büros im Bonn der 1960er- und 1970er- Jahre zeigte er verschiedene Versuche der Einflussnahme der katholischen Kirche etwa auf die Ehegesetzgebung auf. Insbesondere durch die Nähe zur CDU und CSU seien diese Versuche durchaus von Erfolg gekrönt gewesen. Neumann zeigte auf, dass der Einfluss der katholischen Büros zu Zeiten der sozialliberalen Koalition abnahm, was zu einer Veränderung des Modus des Lobbyierens führte. Da Versuche, Einfluss auf die SPD zu nehmen, weniger erfolgreich waren, habe das Büro in der Folge sukzessive den Schulterschluss mit der Bevölkerung und der evangelischen Kirche zur Interessenvertretung gesucht. Wie viele andere Beiträge warf auch Neumann die Frage auf, wie sich die Interessenvertretung nicht-ökonomischer Institutionen vom Wirtschaftslobbyismus unterscheidet, der in der öffentlichen Debatte meist im Vordergrund steht.

WOLFGANG DIERKER (Berlin) präsentierte eine Lobby- und Energiegeschichte der Bundesrepublik am Beispiel der Gesetzgebung zur Einspeisevergütung für erneuerbaren Strom in der Ära Kohl. Er argumentierte, dass in diesem Fall eine vergleichsweise kleine Lobby erhebliche Erfolge erzielen konnte – auch gegen die Interessen der Industrielobbys. Er zeigte auf, wie es in diesem Fall einer „ökologischen Koalition“ gelang, trotz erheblicher Machtasymmetrien eine erfolgreiche Mobilisierung zu erreichen. Dies sei insbesondere durch die Entfaltung eines Basisnarrativs, dem der grundsätzlichen Notwendigkeit von Kilmaschutz, gelungen. Dierker lieferte somit auch einen Einblick in verschiedene Strategien des Lobbyismus und wies – wie Andreas Schulz für das Kaiserreich – auf die Verflechtung lobbyistischer Praktiken mit öffentlichen Kampagnen hin.

In einem gemeinsamen Vortrag beleuchteten SVEN JÜNGERKES (Berlin) und VOLKER STALMANN (Berlin) Lobbyismus-Diskurse im Deutschen Bundestag. Sven Jüngerkes vollzog die Etablierung einer Ehrenordnung in den Siebzigerjahren nach, das heißt von verschiedenen Verhaltensregeln und Transparenzregeln für den Bundestag. Er argumentierte, dass Anlass für die Implementation solcher Regeln häufig ein Skandal gewesen sei und somit eine Reaktion erfolgen musste. Die Regeln mussten durchaus gegen interne Widerstände in den Fraktionen durchgesetzt werden, seien aber weiterhin unzureichend gewesen – insbesondere gebe es kaum Sanktionsmöglichkeiten. Das Beispiel eines solchen Skandals lieferte Volker Stalmann. Anhand der Starfighterbeschaffung in der Ära Adenauer wies er nach, wie schmal der Grat zwischen Lobbyismus und Korruption sein konnte.

Aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive ordnete HÉLÈNE MICHEL (Straßburg) die Debatten um Transparenz und Lobbykontrolle rund um das Europäische Parlament ein – vornehmlich seit den Neunzigerjahren. Sie betonte die zeitlichen und räumlichen Unterschiede zwischen verschiedenen Lobbyismen, die wiederum einem beachtlichen historischen Wandel unterworfen waren. So habe es im europäischen Parlament zunächst eine gewisse Skepsis gegenüber Lobbyismus gegeben, die sich seit den Neunzigerjahren sukzessive verflüchtigte. Inzwischen sei die breite Akzeptanz von Lobbyismus die dominante Haltung – ein Befund, der die Ausführungen von Ines Soldwisch bestätigte Hélène Michel argumentierte, dass – auch angestoßen durch die Transparenzbewegung – Lobbyismus von einem institutionellen beziehungsweise originär politischen Thema zu einem Thema individueller moralischer Verfehlung geworden sei. Lobbyismus werde zunehmend weniger als strukturelles Problem, sondern eher als Frage individuellen Fehlverhaltens betrachtet.

In der Abschlussdiskussion betonten Andreas Schulz und Thorsten Holzhauser erneut die zeitgebundene diskursive Verhandlung des Verhältnisses zwischen Lobbyismus und parlamentarischer Demokratie. Dieses reflektiere in hohem Maße das Demokratie- und Parlamentarismusverständnis der jeweiligen Zeit, aber auch die Rolle des Parlaments im jeweiligen politischen System. Diese These kann als zentraler Befund der gesamten Konferenz betrachtet werden.

Das Theodor-Heuss Kolloquium lieferte einen gelungenen Auftakt zur Erschließung eines in der historischen Forschung vernachlässigten Themas. Gleichzeitig zeigte es auch eindrücklich die Problematiken und neuralgischen Punkte auf, die in zukünftiger Forschung beachtet werden sollten. Besonders zu nennen ist hier eine durch empirische Evidenz begründete Begriffsschärfung und dadurch genauere Beschreibung des eigentlichen Gegenstandes der Erforschung von Lobbyismus im parlamentarischen Raum. Die historische Forschung sollte sich insbesondere der Frage nicht verschließen, inwiefern ein weites Verständnis von Lobbyismus die stetige Professionalisierung von Lobbyismus und die Verflechtung zwischen Berater:innen und Parlamentarier:innen beziehungsweise zwischen professionellen privatwirtschaftlichen Beratungsunternehmen und staatlichen Organen, angemessen reflektiert.

Konferenzübersicht:

Paul Seaward (London): Lobbying, Advocacy and Corruption: reflections on the operation and boundaries of legitimate politics in Britain, 1500–2023

Erste Sektion: Kontaktzonen und Kommunikationsbeziehungen

Tobias Kaiser (Berlin): Der Weimarer Reichstag und das Problem des Lobbyismus im Parlament

Barbara von Hindenburg / Benedikt Wintgens (Berlin) Lobbyismus in der Bonner Republik –Räume, Strukturen, Muster

Ines Soldwisch (Aachen): Lobbyismus im Europäischen Parlament seit 1979 – zentrale Determinante des parlamentarischen Systems?

Zweite Sektion: Akteure und Kampagnen im 19. Jahrhundert

Andreas Schulz (Berlin): „Subventionsdampfer“. Kolonialpolitik und Wirtschaftslobbyismus im Kaiserreich

Barbara Wolbring (Frankfurt am Main): Kanonenkönig im Gegenwind. Die Firma Krupp und die politische Öffentlichkeit um 1900

Dritte Sektion: Parlament und Verbände in der Zwischenkriegszeit

Thorsten Holzhauser (Stuttgart): (Kein) Interessenvertreter im Parlament: Das Beispiel des Reichstagsabgeordneten Theodor Heuss

Johann Kirchinger (Stuttgart/Regensburg): Nur Bauern ins Parlament? Die Zusammensetzung der parlamentarischen Vertretung der Landwirtschaft im Bayerischen Landtag

Vierte Sektion: Parlament und Lobbyismus in der alten Bundesrepublik

Jan Ruhkopf (Stuttgart): Parlament, Verbände, Bürokratie. Vom Für-, Mit- und Gegeneinander des Bundesvertriebenenministeriums und der Vertriebenenlobby

Michael Neumann (Münster): Die Vertretung religiös legitimierter Interessen durch das Katholische Büro in Bonn während der 1960er und 1970er Jahre

Wolfgang Dierker (Berlin): „Politischer Strompreis“ oder „kleine Zehenwackelei“? Lobbying für Erneuerbare Energien in den 1960er Jahren

Fünfte Sektion: Lobbyismus-Diskurse und Regulierungsversuche

Volker Stalmann (Berlin) / Sven Jüngerkes (Berlin): Lobbyismus-Diskurse im Deutschen Bundestag

Hélène Michel (Strasbourg): Transparency Policy and Lobby Control in the European Parliament